Jetzt also Antisemit.
Kaya Yanar meldet sich in einer Replik auf die Vorwürfe gegen sein Gaza-Video zu Wort. Den Kritikern wirft er mutwilliges Missverstehen und die Lust an der Empörung vor.
Witzfigur, System-Komiker, Vaterlandsverräter. Man hat mich schon vieles genannt. Am Anfang meiner Karriere wusste ich manchmal nicht, aus welchem Land mich Faschisten zuerst verbannen wollten. Obwohl ich kein Türkisch sprach und religionsfrei erzogen wurde, haftete das Etikett “Türke” und “Muslim” an mir. Zumindest in Deutschland. Erst in der Schweiz habe ich meine Integration vollendet. Hier gelte ich nämlich als Deutscher. Ich war nie sonderlich politisch und gehörte nie einer politischen Partei an. Dennoch wirft man mir nun vor, ich hätte die Seiten gewechselt und würde damit die Gegner stärken. So als wäre das ein Fußballspiel, indem es darum ginge, sein eigenes Team bedingungslos anzufeuern und die Gegenseite niederzumachen. “Wenn der Feind bekannt ist, hat der Tag Struktur”, hat der große Volker Pispers mal treffend gesagt. Keine Sorge, mir hat niemand das Gehirn gewaschen. Für meine Kritiker scheint die Idee unbegreiflich zu sein, dass ein “integrierter Deutsch-Türke” ganz für sich allein nachdenken, emphatisch sein und einen moralischen Standpunkt beziehen kann.
In meiner 25-jährigen Karriere habe ich noch nie Witze über Juden gemacht. Auch keine über Muslime. Aus Prinzip nicht über Religion. Na gut, über Ostern habe ich mich lustig gemacht, aber der Brauch ist mittlerweile so christlich wie die Schokohasen. Warum sollte ich etwas lächerlich machen, was Menschen heilig ist? Ich machte mich lieber über Ethnien, Sprachen und Klischees lustig. Durch das Austeilen in alle Richtungen, vor allem in meine eigene, habe ich mich immer bemüht, das politisch-korrekte Gleichgewicht herzustellen. Nach dem Motto: Lasst uns selbst nicht allzu ernst nehmen. Denn wer lacht, radikalisiert sich nicht. Unsere Identitäten sollten uns nicht spalten, sondern uns im gemeinsamen Lachen über ihre Eigenartigkeit miteinander verbinden. Aber das ist lange her. Heute dominieren das mutwillige Missverstehen, die Blindheit gegenüber der reinen Absicht und die Lust an der Empörung.
Der Antisemitismus-Vorwurf, den sich jetzt manche Tastatur-Akrobaten aus deutschen Redaktionen herbeidichten wollen, ist haltlos und verletzend. Wie kann man aus einer Kritik an einem militärischen Vorgehen einer Regierung schlussfolgern, dass man das Volk Israels und sogar darüber hinaus alle Menschen jüdischen Glaubens dafür zur Verantwortung zieht? Diese Denke fühlt sich für mich rassistisch an und entspricht nicht meiner Art zu denken. Wer fühlt sich denn bitteschön von seiner Regierung optimal vertreten, hehe? Ich habe nie verstanden, wie man jemanden pauschal aufgrund seiner Herkunft, Hautfarbe, Religion oder politischen Einstellung hassen kann. Noch weniger kann ich verstehen, wenn nun dieser Antisemitismus-Vorwurf in meinem Fall als Schutzschild gegen eine kritische Untersuchung dienen soll. Immerhin geht es hier um zehntausende Menschen, die nicht mehr am Leben sind.
“Ich habe im Leben gelernt, besonders seitdem ich Vater zweier Kinder bin, auf das Leid zu reagieren und zu seiner Linderung beizutragen. Dazu habe ich mich heute mehr denn je verpflichtet gefühlt…”
“Die Gleichgültigkeit gegenüber dem Bösen ist gefährlicher als das Böse selbst”, sagte Abraham Heschel, einer der bedeutendsten Rabbiner des 20. Jahrhunderts. Ich habe im Leben gelernt, besonders seitdem ich Vater zweier Kinder bin, auf das Leid zu reagieren und zu seiner Linderung beizutragen. Dazu habe ich mich heute mehr denn je verpflichtet gefühlt, obwohl ich wusste, wie vermint das Gelände im Diskurs um Israel und Palästina ist. Mir ging es ausschließlich um eine Gegenrede zur Rechtfertigung des Krieges in Gaza und ein Plädoyer für einen sofortigen Waffenstillstand. Natürlich lag die Betonung auf dem militärischen Vorgehen der israelischen Regierung. Nach dem grausamen Überfall der Hamas vom 7. Oktober wurden in wenigen Monaten immerhin Zehntausende Zivilisten in Gaza getötet, darunter tausende Kinder. Man wirft dem Video Einseitigkeit vor, aber seit dem 7. Oktober wird auch ziemlich einseitig gestorben, nicht wahr?
Aus den Artikeln gegen mich lese ich eine Weigerung heraus, auf den Inhalt eingehen zu wollen, seine Gültigkeit und Belege zu prüfen. Das Video wird für seine Form, Methode und seinen Sinn für Humor kritisiert. Geschmackssache. Aber beim Inhalt lasse mich gerne eines Besseren belehren. Ich wünschte, meine Fakten und Quellen stimmten nicht. Ich fürchte schon. Mich auf dieser Grundlage einen Antisemiten zu nennen, ist ebenso ein Angriff auf viele Israelis und Menschen jüdischen Glaubens, die in diesen Tagen für einen Waffenstillstand in aller Welt auf die Straßen gehen. Sie zu dämonisieren und dadurch ihre Sichtweise zu diskreditieren, ist einer demokratischen Presse nicht würdig. Die Verleumdung gehört dabei zur Taktik, was immer ich sage und wie auch immer ich es sage, zu verdrehen und abzulehnen. Ich war nie besonders motiviert, Leute von irgendetwas zu überzeugen. Am Ende ist es mir egal, wie sie mich nennen. Ich mag es nur nicht, angelogen zu werden. Davon haben Yildirim und ich die Schnauze voll!